Rabenraunächte 2021 - 2022
Ursprünglich für meine Facebook-Community gepostet und jetzt hier archiviert :)
Die längste Nacht des Jahres ist vorüber und die Raunächte werden nun eingeläutet :) In den Rabenraunächten möchte ich mit euch einen Blick auf das kommende Jahr werfen und entsprechend der gängigen Vorgehensweise in jeder der zwölf Nächte eine Rune ziehen, die eine allgemeine Tendenz für den korrespondierenden Monat aufzeigt. Ich ziehe die Runen mit "zurücklegen", so dass die gleiche Rune mehrfach erscheinen kann. Zu diesem Zweck verwende ich mein eigenes, altes Runenset aus Zedernholz.
Dann wollen wir mal schauen... *raschel, raschel* :D

Januar, Kenaz
Kenaz ist die Rune der Ideen und der Inspiration. Ein Funke, der dazu fähig ist, etwas in Gang zu setzen, wenn er auf einen "brennbaren" Untergrund fällt.
Der Januar zeigt sich also mit großem Potenzial und kann den nötigen Kick spendieren, um ein Projekt oder Vorhaben zu beginnen oder einen toten Punkt zu überwinden. Wichtig hierfür ist es, die passenden Voraussetzungen zu schaffen, damit das neue Feuer nicht direkt wieder erlischt oder sich zu einem Großbrand entwickelt.
Wie steht es um eure Ideen und Kreativität? Oder vielleicht sogar eure guten Vorsätzen für das kommende Jahr? Habt ihr Projekte, die von dem neuen Schwung profitieren könnten? Oder neigt ihr dazu, Ausreden zu suchen, um jedes Feuer bereits im Keim zu ersticken, bevor eine Flamme daraus werden könnte?

Februar, Fehu
Nachdem Kenaz im Januar den Anstoß gegeben hat, tritt mit Fehu jetzt die tatkräftige Umsetzung auf den Plan. Faulheit ist nun genauso fehl am Platz wie ein abgehobenes Weiterträumen. Das Feuer will genutzt werden und nicht verpuffen, weil sich niemand dafür zuständig fühlt, weiteres Holz hinein zu werfen. Und manchmal muss das Holz sogar erst geschlagen werden. Im Februar heißt es also, die Axt beherzt in die Hand zu nehmen und sich aktiv darum zu kümmern, die Ideen in etwas Handfestes umzuwandeln.
Schafft ihr den Schritt weg von der puren Idee und hin zur konkreten Tat? Oder bringt ihr eure Vorhaben vielleicht selbst ins Stocken, weil ihr keine Lust, keine Zeit, keine Energie übrig habt, um etwas zu verwirklichen? Was ist euch wichtig genug, um diese Ressourcen dafür aufzubringen? An welcher anderen Stelle vergeudet ihr sie?

März, Mannaz
"Wer bist du denn?" fragt sich vielleicht mancher neugierig, der im aufkommenden Frühling nach draußen geht und ein neugeborenes Tier oder eine junge Pflanze sieht. "Wer bist du denn?" fragt auch Mannaz und meint damit die Eigenschaften, Ansichten, Vorstellungen und Fähigkeiten, die uns als Mensch und als Teil einer Gemeinschaft ausmachen. Ob wir laut und forsch sind oder leise und bedacht, wem wir folgen, wen wir ablehnen, ob wir uns der Andersartigkeit der anderen öffnen oder verschließen - das alles resultiert aus den Erlebnissen und Erfahrungen der Vergangenheit. Mannaz zeigt uns, dass unser heutiges Ich kein Zufallsprodukt ist und dem Platz, den wir uns in unserer Umwelt ausgesucht haben, eine Entscheidung zugrunde liegt, so unbewusst sie auch (gewesen) sein mag.
Wenn draußen die Sonne an Kraft gewinnt und die grünen Blätter sprießen, bietet sich die passende Atmosphäre, um uns selbst auf den Grund zu gehen.
Also: Wer bist du denn? :)

April, Isa
Der April macht, was er will - oder auch nicht?
Mit Isa wird dem Auf und Ab dieses Monats ein klarer und stabiler Fokus entgegengesetzt. Nun gilt es, die Konzentration zu behalten und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn alles um uns herum bereits in vollem Grün steht und mit vielen, kurzweiligen Ablenkungen lockt. Isa erlaubt uns, noch ein wenig länger von der winterlichen Starrheit zu profitieren, die durchaus ihre positive Seite hat, wenn sie sich in einer gesunden Unbeirrbarkeit äußert und nicht in einer verbohrten Sturheit. Sie ist der rote Faden, dem wir folgen können, und auch wenn das Schmelzwasser bereits die meisten Flüsse in einen mitreißenden Strom verwandelt hat, bleibt das ewige Eis von Isa eine beharrliche Konstante, die die Orientierung erleichtert.
Macht ihr auch, was ihr wollt? Könnt ihr leicht euren Fokus behalten oder seid ihr schon jetzt flatterhaft wie die ersten Schmetterlinge des Jahres?

Mai, Ansuz
Der Wonnemonat Mai, dessen Name eigentlich "Weidemonat" bedeutet (von althochdeutsch wunni = Weide, nicht Wonne), kennzeichnet die Zeit, in der nicht nur das Vieh nun endgültig wieder hinaus auf die Weide getrieben werden kann, sondern auch wir endlich wieder viel Zeit in der Natur und mit anderen Menschen verbringen. Trotz der noch anstehenden Eisheiligen ist die kalte Jahreszeit bereits vergessen und unsere Fühler sind komplett nach außen ausgerichtet. Und die Art, wie wir mit anderen in Kontakt treten, ist das zentrale Thema dieser Zeit.
Mit dem Herannahen des Sommers wird der innere Monolog immer leiser und wir richten nun nicht nur unsere Worte mehr und mehr an andere, sondern auch unsere Gesten, Mimik, Körperhaltung und selbst unser Schweigen. Die Farbenpracht des Frühlings ist ein Spiegelbild für die Vielfalt der Kommunikationsmöglichkeiten, die uns Ansuz anbietet, und jede davon hat ihre ganz eigenen Möglichkeiten und Reize.
"Lasst Blumen sprechen" ist ein wunderes Sinnbild für diese Kombination aus Jahreszeit und Rune. Warum also nicht mal nach draußen gehen und schauen, in welcher Blume ihr eure ganz eigene Art der Kommunikation wiederfinden könnt? :)

Juni, Gebo
Die Sommersonnenwende steht vor der Tür und während das Sonnenlicht immer weiter seinem Höhepunkt entgegen fiebert, weckt Gebo bereits im Juni Erinnerungen und Ahnungen an die dunkelste Zeit des Jahres zu Yule.
Gebo steht für den Ausgleich, der nicht immer nur im direkten Geben und Nehmen gesehen werden muss, sondern auch größere Kreise schlagen kann: Von Sonnenwende zu Sonnenwende. Tag und Nacht, hell und dunkel sind über den Lauf eines Jahres vollkommen ausgeglichen. Und dieses Gleichgewicht können auch wir erreichen, wenn wir unsere Erlebnisse in einem längerfristigen Kontext betrachten: Keine Zeit ist ausschließlich gut oder schlecht. Auf die brennende Hitze des Sommers folgt immer die erholsame Kühle des Winters. Und auf die frostigen, dunklen Winternächte folgt immer die belebende Wärme des Sommers.
Es bleibt uns überlassen, ob wir angenehme Erlebnisse festhalten (Fotos, Tagebuch...) um in schwierigen Zeiten davon zu zehren oder ob wir uns der allgemeinen Konvention anschließen und uns auf die unangenehmen Ereignisse fokussieren. In der Natur von Gebo liegt es aber, den Ausgleich anzustreben, und das kann nur dann gelingen, wenn wir weder in Euphorie noch Resignation hängenbleiben.
Wie sieht es bei euch aus: Seid ihr eher optimistisch oder pessimistisch? Jammert ihr gerne oder ignoriert vielleicht sogar alles, dass schlecht gelaufen ist? Habt ihr schon einmal richtig verfolgt, wie viel Gutes und Schlechtes euch an einem Tag tatsächlich passiert, anstatt nur im Nachhinein in einem Versuch, euch zu erinnern?

Juli, Raidho
Sommerzeit, Reisezeit :D Wohin soll es gehen?
Reise vor Ziel heißt es in einem Buch, das ich gerade lese, und ein alter Mann stellt die Frage: "Welcher Schritt ist der wichtigste?" Der erste? Der nächste? Der, der über die Ziellinie führt?
Viele von uns sind es heute gewohnt, in Zielen zu denken und den Weg dorthin möglichst schnell zurücklegen zu wollen. Dabei vergessen wir, dass wir ohne jeden einzelnen Schritt, den wir tun, niemals überhaupt ein Ziel erreichen könnten. Viele dieser Schritte sind klein und unscheinbar, wie jeder Strich, der gezogen wird, um eine Zeichnung anzufertigen. Andere erscheinen langwierig und leer, wie die Stunden, die das Flugzeug braucht, um am Urlaubsort anzukommen. Nur wenige unserer Schritte strahlen tatsächlich vor Bedeutsamkeit. Und dennoch: Jeder Schritt, den wir tun, jede Etappe, die wir bewältigen, und jede Stunde, die wir warten, ist ein Teil des Weges zu unserem Ziel. Jetzt können wir genervt aufstöhnen und uns beschweren, wie lästig diese Wege doch sind. Oder wir nutzen den Raum, den sie uns geben, um uns umzuschauen, in uns hineinzuschauen oder in einem guten Buch zu lesen, das weise Fragen stellt. Nur wenn wir die Reisezeit nutzen, um etwas in uns aufzunehmen, wird sie uns genauso bereichern wie die Freude, endlich am Ziel angekommen zu sein.
Und vielleicht finden wir sogar eine Antwort, denn die Frage bleibt: Welcher Schritt ist der wichtigste?

August, Othala
Im Spätsommer bereitet sich alles auf die bevorstehende Ernte vor. Der Blick wandert über die goldenen Felder und das weite Land, auf dem wir anbauen und wohnen. Habt ihr euch schon einmal gefragt, wie weit die Ursprünge dieses Landes zurückreichen? Damit meine ich nicht nur die Zeit von vor hundert Jahren. Die Erde ist etwa 4,5 Milliarden Jahre alt und besitzt seit knapp 4 Milliarden Jahren eine stabilie Kruste. Der Urkontinent Pangaea wird auf ein Alter von knapp 300 Millionen Jahren datiert. Als er auseinanderbrach begann die Zeit der Dinosaurier und vor über 60 Millionen Jahren die der Säugetiere. Vor ungefähr 6 bis 7 Millionen Jahren tauchten die ersten menschenähnlichen Wesen auf. Das erste menschliche Werkzeug wird auf ein Alter von ungefähr 2,6 Millionen Jahre geschätzt - es war die Zeit der Höhlenmenschen, der Jäger und der Sammler. Vor gut 12.000 Jahren wurden die Menschen sesshaft, erlernten Ackerbau, Viehzucht und entwickelten sich weiter.
Stell dir einmal vor, dass genau dort, wo du gerade sitzt oder stehst, vor 12.000 Jahren ein paar Menschen entschieden haben, ihre Hütte zu bauen und ein Feld anzulegen. Eine Familie entstand, Kinder und Enkelkinder arbeiteten, wanderten aus und kehrten zurück. Aus Kindern wurden Eltern und Großeltern, aus Hütten ganze Dörfer und schließlich Häuser und Städte. Und du.
Othala steht für die Verwurzelung, die Heimat. Und auch wenn sich die eigenen Wurzeln manchmal klein und haltlos anfühlen, reichen sie tief in die Geschichte der Erde zurück, wie auch die einer jeden einzelnen Ähre auf den Feldern. Sich auf die Ernte vorzubereiten bedeutet nicht nur, die Früchte zu pflücken. Auch die Wurzeln, die unscheinbar unter der Oberfläche liegen, wollen geprüft und beachtet werden.
Wie tief reichen eure Wurzeln in das Land, auf dem ihr steht?

September, Tiwaz
Die Sonne steht golden am Himmel, doch die Tage werden bereits merklich kürzer und wenn die Nacht hereinbricht, können wir die ersten Herbststernbilder am Horizont entdecken. Einige der sichtbaren Sterne leuchten nun besonders hell und eignen sich seit je her als Führer, wenn wir unsere Orientierung verloren haben.
Tiwaz ist ein solcher Leitstern. Zur Zeit der Herbst- Tag- und Nachtgleiche, wenn keine Seite bevorzugt wird, zeigt Tiwaz in die Richtung, in die wir uns bewegen können, wenn wir uns von den Prinzipien der Rune leiten lassen wollen.
Týr, ehemals Himmelsgott, später dann Gottheit des Krieges und des Rechts, ist der Namenspate dieser Rune. Die Geschichte um den Verlust seiner Hand lässt erahnen, um welche Art von Prinzipien es sich dabei handelt: Als die Götter aus Angst vor dem weisgesagten Schicksal den Fenriswolf mit Hilfe einer List fesseln wollten, wurde dieser misstrauisch und verlangte, dass einer von ihnen als Pfand seine Hand in den Rachen des Wolfs legt. Týr, der Fenrir aufgezogen hatte, erklärte sich dazu bereit - obwohl er die unvermeidliche Konsequenz für sich kannte. Aber er wusste auch um die Wichtigkeit seiner Entscheidung und dass nur er als Ziehvater des Wolfs einen solchen Pfand leisten konnte.
Was ist falsch, was ist richtig, was ist gerecht? Wie sieht euer moralischer Kompass aus? Was ist die Konsequenz von dem, was ihr tut? Welchem Stern folgt ihr?

Oktober, Mannaz
Gut ein halbes Jahr später zeigt sich Mannaz erneut. Der Frühling ist zum Herbst gereift und für uns ist es nun an der Zeit, die Frage, die Mannaz gestellt hat, zu beantworten.
Wer bist du denn?
Das ist oft gar nicht so einfach zu sagen. Es gibt so viele Dinge, die uns definieren, dass es schwer ist, einen Anfang zu finden. Darauf, dass wir das Resultat unseres Lebens sind, hat uns Mannaz bereits im März aufmerksam gemacht. Aber die Suche nach uns selbst als einen Teil der Menschheit? Hm...
Mannaz ist eine Rune, die in den Spiegel schaut: Zwei zueinander gewandte Wunjo. Oft werden darin zwei Personen gesehen, die sich im Rahmen einer Gemeinschaft zueinander wenden, aber das muss nicht so sein.
Wann habt ihr euch das letzte Mal im Spiegel betrachtet? Nicht, um eure Falten, die grauen Haare oder die krumme Nase zu kritisieren, sondern um zu sehen, welche Art von Gesicht ihr mittlerweile tragt.
Ist es ein freundliches Gesicht? Sieht es mürrisch aus? Würde es sich zu einem Lächeln bewegen lassen oder möchte es lieber alleine und für sich bleiben? Was hat dieses Gesicht erlebt und gesehen? Wem zeigt es sich?
Wer bist du denn da im Spiegel?

November, Eiwaz
Eiwaz ist die Rune der Übergänge und Entscheidungen und erscheint zu einer Zeit, in der wir an der Schwelle zwischen Herbst und Winter stehen. Nach und nach kommt die Natur wieder zu Ruhe und unser Außen kehrt sich wieder unserem Inneren zu. Der Übergang zur stillen Jahreszeit kann manchmal beängstigend sein: Die Sonne verliert schon seit geraumer Zeit an Kraft, die Tier- und Pflanzenwelt zieht sich zurück und auch wir verbringen die Tage nun immer öfter lieber drinnen als draußen. Und ebenso beängstigend erscheint es uns manchmal, wenn sich unser bisheriger Weg ändern könnte.
Die Türschwelle ist eine der vielen Verbildlichungen von Eiwaz. Symbolisch steht sie für jeden Wendepunkt, jeden Wandel und jede Entscheidung, die wir erleben. Eiwaz möchte wissen, auf welcher Seite der Schwelle wir gerade stehen und wie zögerlich wir dabei sind, sie zu überqueren. Der Lohn für den Mut, die Schwelle zu überschreiten, ist dabei nicht unbedingt der Erfolg, sondern die Veränderung. In solchen Moment bewegt sich unser Leben - am Anfang oft erstmal träge, wie ein Karren, der im regennassen Schlamm stecken geblieben ist. Später schneller und lebhafter, wie der erste Schnee, der vom Himmel fällt.
Wie beherzt seid ihr im Treffen von Entscheidungen? Bevorzugt ihr Veränderung oder Stabilität? Wie fühlt ihr euch, wenn ihr einem Wandel gegenübersteht?

Dezember, Thurisaz
Im letzten Monat des Jahres erscheint Thurisaz, der Dorn. Der Dorn, der uns zur Yulezeit am auffälligsten begegnet, ist der des Tannenbaums und der geschmückten Kränze, die sich viele Leute ins Haus holen, um die Wiederkehr des Lichts zur Wintersonnenwende zu feiern (oder verbreiteter: zu Weihnachten ;) ). Thurisaz ist auch der Zaun, der das eigene Grundstück vor dem Zutritt ungebetener Gäste schützen soll - in Mehrfamilienhäusern übernimmt diese Funktion die Wohnungstür, die nicht selten mit einer halbrunden Fußmatte versehen wird, so dass Türschwelle und Matte zusammen die Form von Thurisaz aus dem jüngeren Futhark bilden.
Unser Zuhause ist ein geschützter Raum, in dem Eindringlinge nichts zu suchen haben. Aber Eindringlinge sind nicht nur Menschen mit negativer Absicht, sondern ganz besonders zu dieser Zeit viel zu häufig auch Freunde und Familie, die man nicht aus Freude, sondern nur aus Pflichtgefühl einlädt und bewirtet.
Wen ladet ihr ein, um zusammen mit euch unter dem Weihnachtsbaum zu sitzen? Wen glaubt ihr einladen zu müssen? Wen glaubt ihr, nicht einladen zu dürfen? Möchtet ihr überhaupt jemanden einladen oder die Wohnungstür viel lieber zu ziehen und die Zeit für euch allein genießen?